Fliegender Torwart
Spätestens, als mich ein kleiner Messdiener vor drei Wochen fragte. „Kucken Sie auch Deutschland?“ wusste ich: Jetzt geht es los! Ich „kucke“ allerdings nicht nur Deutschland, sondern auch andere Spiele, am liebsten sehe ich diese wieselflinken, zähen Kerlchen aus Südkorea, die tatsächlich so tun, als sei das Spiel nicht bitterer Ernst, sondern ein Spiel. Sie huschen über den Rasen, haben offenbar grenzenlose Kraftreserven und blicken immer aus einem freundlichen Geicht. Ungewöhnlicherweise treten sie mehr vor den Ball und nur selten vor das Schienbein des Gegners.
Wenn Sie diesen Text lesen, wissen Sie, was ich jetzt noch nicht weiß: Wer wird ins Endspiel kommen? Die deutschen Spieler oder die Südkoreaner; und dann?
Aber es ist, wie immer beim Fußball, auch die Zeit der großen Sprüche. Für verbale Blindgänger ist der Fußball immer gut. Nicht nur , dass der Ball rund ist, oder dass „das Runde ins Eckige muss“, sondern etwa auch der Ausspruch eines bekannten Spielers von Schalke 04: „Egal, ob Mailand oder Madrid: Hauptsache Italien!“ Oder „Mal verliert man, und mal gewinnen die anderen!“ (Otto Rehagel) oder „Ihr Fünf spielt jetzt Vier gegen Drei!“ (Fritz Langner) oder „Wir müssen gewinnen, alles andere ist primär!“ (Hans Krankl) oder „Zuerst hatten wir kein Glück, und dann auch noch das Pech hinzu!“ (Jürgen Wegmann).
Nicht viel seriöser ist der Ausspruch des bekannten Philosophen J.P. Satre: „Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft!“
Und die „Hand Gottes“ des Diego Maradonna ist ja auch schon längst bekannt.
Apropos Zitate! Wirklich eindrucksvoll – ganz im Gegensatz zu den obigen, finde ich die Bekenntnisse einiger prominenter Fußballspieler zu ihrem Glauben. Als Heiko Herrlich vor einigen Monaten im Aktuellen Sportstudio am Samstagabend über seinen lebensbedrohlichen, inzwischen geheilten Gehirntumor sprach und sehr überzeugend sagte, nur sein Glaube an Gott habe ihm geholfen, seiner Krankheit erfolgreich zu widerstehen, war das eine der seltenen Sternstunden des Fernsehens. Aber auch der jüngste deutsche Nationalspieler, Christoph Metzelder, hat mich beeindruckt mit seinem Wort „Ich glaube an Gott, aber ich glaube nicht an einen Fußballgott!“ Er bedauert übrigens, nicht jeden Sonntag zur Messe zu kommen, berufsbedingt, wie er es früher gewohnt war. Auch von Oliver Bierhoff wissen wir, dass er seinen Glauben öffentlich bekennt. Schließlich hat auch der Nationaltorwart Oliver Kahn ein unüberhörbares Bekenntnis zu seinem Gottesglauben abgelegt.
Zum erstenmal interessiere sich die Öffentlichkeit bei einer Weltmeisterschaft für den Glauben der Akteure, hat kürzlich eine bekannte Zeitschrift festgestellt. Und das ist erstaunlich und macht Hoffnung in einer Zeit, in der angeblich der Glaubensverlust so dominant sei. Das Gegenteil scheint richtig zu sein.
Ich meine übrigens, dass es ein eindrucksvolles Zeichen wirklicher religiöser Bindung ist, wenn die Stars des Fußballs offen und unübersehbar das Kreuzzeichen machen. Es ist unfair, dahinter gleich ein Zeichen von Aberglauben zu sehen, wie es manchmal zu lesen ist; dann könnten die Spieler ja auch ein Hufeisen in die Luft werfen oder sich ein vierblättriges Kleeblatt in den Mundwinkel klemmen. Nein, das Kreuz ist kein Zeichen von Aberglaube, sondern von Glaube. Und wo sieht man denn sonst noch, dass jemand in der Öffentlichkeit das Kreuzzeichen macht, außer im knallharten Fußballgeschäft, ausgerechnet dort!
Zeichen von Religion ist es, wenn sich prominente Fußballgrößen für soziale Aktionen engagieren, wie z.B. die bekennenden Christen Roque Santa Cruz und Toni Polster, die die Schirmherrschaft über eine von den Salesianerpatres initiierte Aktion zugunsten lateinamerikanischer Straßenkinder übernommen haben; von dem Geld sollen Sportschulen für Straßenkinder gebaut werden, der einzige Weg, aus dem sozialen Unter-Milieu herauszukommen. Man kennt ähnliche Aktionen von Lars Ricken, Giovane Elber und zahlreichen anderen.
Und wenn wir in der Dyckburg-Gemeinde im noch immer sehr ruinösen Pfarrheim ( man erinnert sich: Vor fast auf den Tag genau einem Jahr ist das Pfarrheim abgebrannt, am 2. Juli beginnt die entscheidende Wiederaufbau-Phase) vor der Großleinwand sitzen und die WM- Spiele, die durch einen Beamer groß projiziert werden, gibt jeder Zuschauer – bei manchem Spiel mehr als fünfzig Leute zwischen acht und achtzig Jahren – bei jedem Tor, das fällt, 10 Cent in eine Spardose; beim ersten Spiel der deutschen Mannschaft haben einige schon fast ihr ganzes Taschengeld für diese Woche draufgegeben – völlig freiwillig natürlich. Alles kommt der Aktion von Roque Santa Cruz und Toni Polster zugute, übrigens auch die Sonntagskollekte, die am letzten Sonntag fast 250 € ergeben hat, fünfmal so viel wie eine normale Kollekte.
Und das soll mit dem 30. Juni nicht zuende sein. Die WM ist dafür, wie es in der Fußballsprache heißt, ein „Anstoß“!
Ulrich Zurkuhlen