Diesen meinen Stern finden
Diesen
Meinen Stern finden
Ihn gefunden haben
Ihn verschenken und
Sich wieder zu den Suchenden zählen.
Dieses knappe, inhaltsschwere Gedicht von Karin Voigt sah ich vor einigen Jahren in einer Stuttgarter Straßenbahn. Dort sind oben über den Fenstern Bilderrahmen angebracht, in denen offensichtlich wechselnd Sprüche, Gedichte, Impulse zum Nachdenken gegeben werden. Ein seltsamer Ort; aber dass ich dieses Gedicht nicht nur gesehen und anschließend abgeschrieben habe, sondern dass es mich seitdem begleitet, zeigt, welch eine Wirkung diese Maßnahme der Stuttgarter Verkehrsbetriebe haben kann.
Das Gedicht gehört zum Dreikönigstag: Suchen, Finden, Verschenken, Weitersuchen! Eigentlich ist es nicht nur das Thema des Dreikönigstages, bei dem der Stern eine gewisse Rolle spielt, sondern es ist bereits die Weihnachtsbotschaft; denn die Propheten-Botschaft des Propheten Bileam „Ein Stern geht auf in Jaakob“ bezieht sich auf den Messias, nicht auf irgendein Gestirn am Himmel. IN diesem menschlichen Stern konzentriert sich alle menschliche Suche, alle Freude über das Finden, das Weitergeben des Gefundenen und das erneute Suchen.
Natürlich ist das das Thema der Männer, die aus dem Morgenland nach Betlehem kommen, wie es der Evangelist Matthäus erzählt; nirgendwo steht, wie viel es sind; nirgendwo steht, woher sie kamen; auch ihre Namen sind der Bibel unbekannt. Und von Königen ist überhaupt nicht die Rede, es sei denn, Menschen in der königlichen Kraft des Suchens und Findens seien gemeint.
Denn sie sind Repräsentanten des Unterwegsseins, und damit sind es brandaktuelle Gestalten. Ist nicht der Mensch ein Suchender, solange er lebt? Ist nicht der Mensch ein Findender, wenn er glaubend einen Zipfel vom Geheimnis Gottes gepackt hat? Ist nicht der Mensch immer einer, der nur in der Gemeinschaft des Schenken und Beschenktwerdens leben kann? Ist der Mensch nicht immer einer, der neu anfängt, ganz neu?
Vielleicht liegt es daran, dass die Menschen sich von diesen Magiern aus dem Morgenland immer so angezogen gefühlt haben: faszinierende Gottsucher, die sich ihre Suche etwas kosten lassen: Geld, Zeit, Mühe und Enttäuschung, aber sie werden durch das Finden belohnt, und sie kehren verwandelt – „auf einem anderen Weg!“ – zu ihrer Herkunft zurück; nichts wird bei ihnen noch so sein, wie es gewesen ist.
Ich sehe mir auf den Krippen die „Könige“ mit besonderer Neugierde an und stelle fest, die ihnen die Krippenmacher besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Zum Beispiel bei der Krippe der Herz-Jesu-Kirche in Bocholt: Maria Gellrich, Ulla van de Sand und Alex Furtmann haben aus Schaufensterpuppen Krippenfiguren gemacht; oder richtiger: Sie haben die Rohlinge zum Leben erweckt. Mir gefallen die Könige ganz besonders, z.B. der junge König, dem man abnimmt, dass er ein Suchender ist. Und wenn man auf der Krippe neben diesen lebensgroßen Gestalten steht, hat man das Gefühl, dass da Brüder im Glauben stehen, die an dem Ziel angekommen sind, zu dem wir noch unterwegs sind.
Viele Kinder gehen in den ersten Tages des Jahres 2003 als Sternsinger von Haus zu Haus und wünschen den Segen des Gottessohnes; ob sie etwas von der Größe der Männer ahnen, in dessen Nachfolge sie da gehen? In der Zeitung fand ich unter dem Titel „Sternsinger“ ein Gedicht von Helga Meschede:
Kaspar, Melchior, Balthasar
singen an den Türen,
wollen uns im neuen Jahr
zu dem Kinde führen.
Kaspar dunkel, Melchior hell,
Balthasar, der Alte,
folgen ihrem Sterne schnell,
dass sein Licht entfalte
sich den Weisen wie der Welt,
Kleinen klar wie Großen:
Wen des Lichtes Glanz erhellt,
ist nicht mehr verstoßen.
Kaspar , Melchior, Balthasar –
Weihrauch, Gold und Myrrhe
bringen sie dem Kinde dar,
das uns zu sich führe.
Ulrich Zurkuhlen (Dezember 2002)