Adam Elsheimer.
Ich wusste vorher noch nichts von Adam Elsheimer, aber ich habe kürzlich eine Ausstellung mit einem Bild von ihm in der Alten Pinakothek in München besichtigt. Es ist ein einziges Bild, das sich im Besitz des Museums befindet und um das jetzt eine vielfältige Erklärung und einige Bilder anderer Maler gruppiert waren. Es lohnt sich, dieses eine, kleine Bild anzusehen, denn es ist eine Sensation.
Das Bild „Flucht nach Ägypten“ aus dem Jahr 1609 hat eine Vorgeschichte. Damals stand die Erforschung des gestirnten Himmels ganz im Vordergrund der naturwissenschaftlichen Forschung, und selten hat eine Zeit wohl eine so lebendige Himmelsforschung betrieben wie die damalige. Namen wie Keppler, Kopernikus und vor allem Galileo Galilei stehen für diese wissenschaftliche Begeisterung, und unser ganzes Raumfahrt-Zeitalter wäre nicht zu denken ohne die Forschungen des beginnenden siebzehnten Jahrhunderts. Damals wurden die Fernrohre erfunden, und ohne sie hätte man überhaupt nicht so intensiv nach dem Lauf der Planeten, der Bewegung der Sterne um die Sonne usw. forschen können. Welche Irrwege dabei auch die maßgeblichen kirchlichen Autoritäten damals gegangen sind, ist vom Fall Galilei bekannt. Es ist nicht gut für die Kirche, wenn sie sich in Dinge einmischt, die nicht zu ihrem Verkündigungsauftrag gehören.
In der Nacht des 7. Januar 1609 sah Galilei durch ein Teleskop, das er selbst gebaut hatte, und sah eine Sensation: Die Milchstraße war in Wirklichkeit nicht ein dünner Schleier am Himmel, sondern eine Ansammlung von vielen tausend einzelnen Sternen. Das widersprach allem, was man bis dahin sehen konnte. Denn so, wie Galilei die Milchstraße sah, hatte sie noch nie jemand gesehen. Oder doch? Nd als Galilei einige Jahre später durch sein Fernrohr sah, bemerkte er, dass die Mondoberfläche aus vielen einzelnen Kratern bestand. Was Galilei damals sah, ist für uns heute eine Selbstverständlich, aber damals?
Damals hatte der Maler Adam Elsheimer ein Bild gemalt, dessen Sternenhimmel genau der Erkenntnis von Galilei entsprach. Aber das Bild war eher gemalt. Es zeigt den Sternenhimmel, wie er in der Nacht des 16. Juni 1609 über Rom zu sehen war. Eigentlich ging es dem Maler nicht so sehr um das Thema – das hatten andere Künstler vor ihm schon gut, vielleicht sogar besser als Elsheimer gemalt; auch später war das Thema „in“, und so kennen wir dasselbe Thema von Rembrandt, Rubens und anderen. Aber Rembrandt ging es um das Licht, das vom Kind ausgeht. Elsheimer aber malte das Licht so, wie er es in der besagten Nacht am Himmel gesehen hatte. Und auf der kleinen Wiedergabe des Bildes kann man das wohl erkennen. Es ist inzwischen nahezu sicher, dass Elsheimer vor Galilei durch ein Fernrohr gesehen hatte, aber war nicht erst Galilei der Erfinder des Fernroheres? Oder hatte Elsheimer durch das Fernrohr Galileis geblickt und etwas gemalt, was eigentlich nicht gemalt werden durfte? Oder hat Elsheimer vielleicht ein Fernrohr gehabt, das er von den Jesuiten in Rom bekommen hatte, die immer schon ihrer Zeit voraus waren und vielleicht schon wissenschaftliche Kenntnisse besaßen, die eigentlich verboten waren? Wir wissen es nicht.
Aber wir wissen, dass der ziemlich unbekannte Maler offensichtlich ein gigantisches Gedächtnis hatte und sich in jener Juni-Nacht des Jahres 1609 das Bild des Firmaments so eingeprägt hatte, dass er es später fast exakt auf seinen Gemälde wiedergab. Es ist auch möglich, dass sich Elsheimer auf einem römischen Markt im Jahre 1608 ein Teleskop gekauft hatte, durch das er, noch vor Galilei, in den gestirnten Himmel blickte.
Das Bild ist eine Sensation. Wer vor dem Bild steht und es anschaut, hat ein eigenartiges Gefühl: Hier in diesem Bild ist die wissenschaftliche Forschung, die zum erstenmal zur ziemlich exakten Wahrnehmung der Himmelsstruktur führte, bildlich dargestellt. Elsheimer lebte von 1578 bis 1610. Sein Todesjahr ist übrigens auch ein Beweis dafür, dass er vor Galilei den Himmel bei Nacht gesehen haben muss.
Ulrich Zurkuhlen (März 2006)