Donnersohn.
Der Evangelist Johannes ist eine hochinteressante Figur, und weil ich vor einiger Zeit ein schönes Bild von ihm in einer Kirche am Niederrhein sah, habe ich mich wieder an diese starke Persönlichkeit erinnert. Er ist, so nimmt man gewöhnlich an, der Verfasser des vierten Evangeliums, das sich so fundamental von den anderen drei Evangelien unterscheidet. Er hat möglicherweise die drei Johannesbriefe geschrieben, aber mit Sicherheit nicht die Johannes-Apokalypse. Texte aus seinem Evangelium tauchen öfters im Kirchenjahr auf, besonders der Johannes-Prolog, der zu den schönsten und theologisch tiefsten Texten des Neuen Testamentes gehört.
Johannes stammte aus einer ziemlich bizarren Familie. Sein Vater war der Fischer – und Fischhändler! – Zebedäus, offensichtlich ein kluger Unternehmer mit zahlreichen Mitarbeitern. Sein älterer Bruder ist Jakobus, auch er ein sehr individueller Mann, der bekanntlich, in welcher Weise auch immer, mit Santiago de Compostela zu tun hat; dort soll er begraben sein, was ungewöhnlich ist; denn dann wäre er die Ausnahme im Kreis von Jesu Aposteln. Dass Jesus den beiden Brüdern den Spitznamen „Donnersöhne“ verpasste, muss man gar nicht kommentieren. Seine Mutter Salome gehörte zu der großen Gruppe von Frauen, die zum Gefolge Jesu gehörte und offensichtlich die Missionstätigkeit Jesu auch finanziell unterstützte. Das motivierte sie offenbar, sich um die Karriere ihrer beiden Söhne zu kümmern, aber da ließ Jesus sie bekanntlich abblitzen.
Und Johannes selbst? Er hatte bei Jesus einen „Stein im Brett“. Er gehört zum engsten Mitarbeiter-Kreis Jesu und war wohl noch sehr jung. Aber Mama und sein großer Bruder werden auf ihn aufgepasst haben. Er war ja später der einzige Jünger, der Jesus bis zum Tod die Treue hielt, und er war, soweit man das über- haupt sagen kann, auch der einzige, der kein Märtyrer war, sondern eines natürlichen Todes starb.
Ein paar Einzelheiten auf unserem schönen Bild sind bemerkenswert: Zunächst ist er bartlos; das ist auf allen Bildern, die Johannes zeigen, übereinstimmend: ein Zeichen seiner Jugend. Er war demnach so jung, dass er noch keinen Bartwuchs hatte. Und da bei den Juden ein Mann mit zwölf Jahren erwachsen war, könnte man sich Johannes als einen Jüngling im Pubertätsalter vorstellen.
Dann ist Johannes auf unserem Bild ein Lesender; das ist wichtig: Er war offensichtlich nicht nur einer, der diverse Texte schrieb, sondern er hat sich offensichtlich mit der Theologie seiner jüdischen Vorgänger und mit der Philosophie seiner Zeit beschäftigt, etwa mit der „Logos-Theologie“, die dem Wort eine besondere Bedeutung gab und die Johannes als eine Beschreibung Gottes selbst nahm: „Im Anfang war der Logos!“ – also das Wort.
Und dann ist dass Attribut des Adlers; auf vielen Bildern Reliefs u.ä. ist der Adler das besondere Kennzeichen des Johannes. Was das bedeutet? Zunächst einfach, dass der Adler als Symbol schon eine alttestamentliche Tradition hat. Dann aber auch der „Höhenflieger“, der fast den Himmel berührt.
Und sein Gewand ist mit Kreuzen geschmückt. Johannes war der, der dem Kreuz am nächsten war und trotzdem selbst vom Kreuzestod verschont blieb, im Unterschied zu seinem Mitapostel Petrus.
Ich finde nicht nur das Bild, sondern auch diese starke Persönlichkeit faszinierend.
Ulrich Zurkuhlen