Das Tor zum Paradies
Dieses Tor ist eigentlich kein Kirchentor, sondern ein Gartentor. Aber ist der Unterschied wirklich so wichtig? Gibt es da überhaupt einen großen Unterschied?
Das Tor befindet sich im Garten meines Freundes Bruno, ganz in der Nähe von Osnabrück. Bruno hat mir geschrieben, dass sich das Original aus dem Jahr 1618 im Wallenstein-Palast in Prag befindet. Bruno war so fasziniert, dass er das Tor fotografiert hat und nachbauen ließ von einem polnischen Schmied; kaum jemand beherrscht noch diese Technik.
Als ich das Tor vor einiger Zeit zum ersten Mal sah, war ich auch fasziniert, und ich habe dem Tor eine angemessene Deutung zu geben versucht: Es ist das Tor zum Garten Eden, also zum Paradies: ein herrlicher Garten hinter dem Tor. Man sieht es an der Perspektive, dass es hineingeht in den Garten, ins Paradies.
Die Bibel berichtet auf den ersten Seiten die wunderbare Legende vom Paradies, in denen die ganze Natur in ihrer Fülle erstrahlt, einschließlich der vielen Tiere und der beiden Menschen, die dort ein wunderbares Leben führten, so, wie man es jedem Menschen und jedem Tier wünscht. Aber es war ein gefährlicher Boden, und so lässt Gott wegen einer Banalität die Menschen aus dem Paradies vertreiben wegen einer einzigen verbotenen Frucht – die Sache, dass diese Frucht ein Apfel war, ist übrigens ein Übersetzungsfehler. Was ist das für ein schreckliches Gottesbild, dass Gott die Menschen aus dem Paradies vertreibt, auch wenn das „AußerParadies“ auch seine angenehmen Seiten hat: Erst jetzt sind die beiden Menschen so von Liebe erfüllt, dass sie jetzt – erst jetzt! – Kinder und Nachkommen über viele Generationen bekommen. Lieben kann man also auch außerhalb des Paradieses.
Dennoch: Brunos Gartentor hat eine andere Aussage: Das Tor lädt ein, in den Garten Eden zu kommen. Und der Einladende ist die Sonne, ein uraltes Gottessymbol: Denken Sie an die Ägypter, die den „Sonnengott“ verehrten. Wenn ich bei Sonnenschein auf meinem Balkon sitze und in die Sonne schaue, denke ich, dass die Sonne, welche Licht und Wärme und Leben schenkt, tatsächlich ein wunderbares Bild für Gott ist. Ich darf die Sonne allerdings mit meinen Blicken nicht völlig vereinnahmen wollen, sonst könnte ich seh-unfähig werden. Selbst im Blick zu Gott hin muss der Mensch bescheiden bleiben.
Aber Gott ist in der Gestalt der Sonne im Paradies und lädt uns ein. Nein, er vertreibt uns nicht aus dem Paradies, sondern er lädt uns ein; das ist ein anderes Gottesbild als das grausame Gottesbild auf den ersten Seiten der Bibel.
Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich Ihnen dieses Tor in der monatlichen Reihe der Kirchentor vorgestellt habe.
Ulrich Zurkuhlen