„Kirchenkrise“
Ich kann das Wort bald nicht mehr hören, vor allem, weil es mich persönlich trifft und beunruhigt. Ich mache ein ganz paar Anmerkungen dazu, die das Ergebnis langen Nachdenkens sind; ich habe auch in etlichen gesammelten Notizen nachgeschaut. Ich meine also folgendes:
1) Wenn etwa in den Medien und anderswo so getan wird, dieser Sachverhalt sei erst seit 2010, also seit der wirklich schlimmen Missbrauchsgeschichte aktuell, und vorher sei alles gut und erfreulich gewesen, ist das Unsinn. Ich meine jedenfalls, dass die Zeit des 2.Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965 eine herrliche Zeit der Kirche war, besonders durch den wunderbaren Papst Johannes XXIII., dessen Bedeutung von keinem seiner Nachfolger erreicht wurde. Die Kirche war nach dem Konzil eine Gemeinschaft von Begeisterten, von Erlösten, von hoffnungsvoll Glaubenden, von zukunftsorientierten Christen. Es war eine wunderbare Zeit, kirchlich, gesellschaftlich usw. Die Frage ist nun also, wann die ersten Spuren einer Kirchenkrise zu spüren waren.
2) Das war die Enzyklika „Humanae Vitae“ durch Papst Paul VI. im Jahr 1968. Der Inhalt war, kurz gesagt, das Thema „Verbot der Empfängnisverhütung“, und zwar in jeder Hinsicht. Bis dahin galt es nicht sündhaft, wenn etwa durch die Verhütungspille keine Empfängnis eines neuen Lebenswesens zustande kam. Es ging also, und das ist jetzt ganz wichtig, nicht etwa um Abtreibung, um die heute gestritten wird, sondern um die „Anti-Baby-Pille“, durch die es gar nicht zur Schwangerschaft kommen konnte. Nahezu alle Priester, die damals mit dem Bußsakrament befasst waren, folgten diesem ethischen Prinzip: keine Empfängnis, keine Sünde! Wir Priester waren entsetzt über die „Pillen-Enzyklika“, und es entstanden heftige Streitgespräche und viel Entfremdung der Kirche, auch häufige Abkehr von der Kirche. – Ich war ja damals bekanntlich Privatsekretär von Bischof Höffner und begleitete ihn zur LVHS Freckenhorst zu einem Treffen mit einer großen Zahl von Priestern, die irgendein Jubiläum feierten. Es gab nur ein Thema: die „Pille“, und es gab einen schweren Konflikt zwischen dem Bischof, der die Pillenenzyklika voll bejahte, und der geschlossenen Priesterschaft, die sich dem Bischof heftig entgegensetzte. Die Priester waren eben die andere, menschlichere Praxis in der Beratung innerhalb und außerhalb der Beichte gewohnt und ein anderes Sündenverständnis. – Die Spannung zwischen Bischof und Priestern ist damals gestiegen.
3) Und dann gab es ein weiteres Ereignis, das der Kirche unendlich geschadet und zu vielen Kirchenaustritten geführt hat Das war vor neun Jahren, und verbunden mit dem Namen Tebartz-van Elst, dem Bischof von Limburg, der sich eine prächtige Villa bauen ließ; ich habe kürzlich noch gelesen, dass der Luxus-Bau mit 4 Millionen Kosten kalkuliert war, tatsächlich aber 30 Millionen gekostet hat. Es war eine Katastrophe, und vielen Christen schien die Kirche ins feudale Mittelalter zurückversetzt, in die Zeit der Ansprüche von Fürstbischöfen, und das war sehr ärgerlich. Im Kreis meiner Freunde und vieler Pfarrei-Mitglieder kam es dadurch zu einer großen Entfremdung von der Kirche.
4) Das vierte ist natürlich die fürchterliche Missbrauchskatastrophe, die zu einem noch viel größeren Kirchenaustritt geführt hat, keineswegs nur in Deutschland und Europa: Weltweit!
— Und was und wann wird die nächste kirchenzerstörende Katastrophe sein?