Geleise ins Morgen
Der Titel unserer Überlegungen zum neuen Jahr ist geklaut: Bischof Reinhold Stecher, langjähriger und nun pensionierter Bischof von Innsbruck, hat einem seiner tiefsinnigen – und mit eigener Hand illustrierten – Büchern diesen Titel gegeben. Er vergleicht das Leben mit einer Eisenbahnfahrt, und so passt es auch zu dem neuen Jahr, das vor uns liegt. Die Geleise sind gelegt; die haben nicht wir selbst gemacht, sondern sie sind uns vorgegeben. Auch am Jahresanfang wissen wir nur allzu gut, dass wir die Geleise unseres Lebens nicht selbst machen können. Wir können diese Geleise mit Veranlagung oder genetischem Programm bezeichnen, aber wir können auch sagen: Gott hat uns die Geleise unseres Lebens vorgegeben. Die sind einfach da, wir können sie nicht machen, aber wir brauchen sie auch nicht zu machen.
Aber der Zug des kommenden Jahres ist noch nicht in Fahrt gekommen, und wir wissen wohl auch noch nicht genau, auf welchem der vielen Geleise wir fahren sollen. Manchmal werden wir auch eine Weiche überfahren müssen, denn bisweilen müssen wir im Laufe der Fahrt die Richtung unserer Fahrt ein wenig ändern.
Und so unbefahren wie auf unserm Bild wird die Fahrt nicht immer sein; wir werden sehr acht geben müssen auf andere, die in unserer Nähe fahren; einen Zusammenstoß darf es nicht geben.
Und am Ende des Jahres? Da werden wir erstaunt feststellen, wie lang der Weg war, den wir zurückgelegt haben. Manche Leute sagen, dass die Fahrt umso schneller geht, je älter man wird. Das wird stimmen, aber es ist auch eine Täuschung; denn die Fahrt ist immer gleich schnell, aber vielleicht vergessen wir häufiger das Anhalten und Verschnaufen, wenn wir älter werden. Wir haben Angst, etwas zu verpassen.
Auch das Ziel unserer Fahrt liegt nicht an uns; gewiss, wir können ein Ziel ins Auge nehmen, aber ob wir auch tatsächlich dieses Ziel erreichen, ist von vielen Faktoren abhängig. Wir können und sollen unser Bestes tun, um das Ziel zu erreichen, aber ob es dann auch tatsächlich zu einer zielgerichteten Fahrt wird, hängt auch von den Energiereserven unserer Lokomotive ab. Wir müssen viel Reserven bei uns haben, wenn auch die steilen Strecken unserer Fahrt mühelos zurückgelegt werden sollen.
So hoffen wir am Anfang des Jahres, dass es ein gutes werden wird, und wünschen einander alles Gute und Gottes Segen.
Der Pfarrer der Lambertikirche in Münster hat am Neujahrstag des Jahres 1883 den folgenden Neujahrswunsch formuliert, ein Gebet eigentlich, und das geht so:
Herr, setze dem Überfluss Grenzen
Und lasse die Grenzen überflüssig werden.
Lasse die Leute kein falsches Geld machen
Und auch das Geld keine falschen Leute.
Nimm den Ehefrauen das letzte Wort
Und erinnere die Männer an ihr erstes.
Schenke unseren Freunden mehr Wahrheit
Und der Wahrheit mehr Freunde.
Bessere solche Beamte, Geschäfts- und Arbeitsleute,
die wohl tätig, aber nicht wohltätig sind.
Gib den Regierenden ein gutes Deutsch
Und den Deutschen eine gute Regierung.
Herr, sorge dafür, dass alle in den Himmel kommen
– aber nicht sofort!
Ulrich Zurkuhlen (Januar 2004)