Sankt Martin.
Kaum ein Heiliger der Kirchengeschichte ist so oft besungen, beschrieben, dargestellt worden wie Martin von Tours; er ist einer der volkstümlichsten Heiligen und vor allem auch bei Kindern beliebt, weil die Martinszüge u.a. im westlichen Münsterland, im Rheinland usw. eine lange, gern wiederholte Tradition haben. Martin wurde 316 in Westungarn als Sohn eines hohen römischen Beamten geboren; sein Name kommt von dem römischen Kriegsgott Mars. In jungen Jahren wurde er Soldat, und aus dieser Zeit stammt die Legende, er habe vor den Stadttoren von Amiens sein Gewand mit einem frierenden Bettler geteilt; das ist die Geschichte, die die meisten Leute von Martin kennen. Die historische Seite der Legende ist umstritten, aber das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass Martin sich taufen ließ und, weil er den Kriegsdienst mit seinem neuen Glauben nicht vereinbaren konnte, aus dem römischen Heer austrat und als Einsiedler lebte.
Die schöne Legende ist die Illustration jenes Jesus-Wortes bei der großen Gerichtsrede im Matthäus-Evangelium „Ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet…. Denn was ihr einem der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Das ist übrigens sehr ähnlich der Nikolaus-Legende „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben!“
Eine sehr überraschende Martins-Darstellung befindet sich in der romanischen Kathedrale von Vezelay in Burgund, wo auf den Säulenkapitellen Bilder von Szenen des Alten und neuen Testaments, aber auch aus den Geschichten der Heiligen zu sehen sind – wunderbare romanische Kunstwerke etwa aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts. Unter diesen herrlichen Steinreliefs befindet sich auch eine Darstellung des hl. Martin, allerdings eine ganz ungewohnte. Martin in Bischofskleidung ordnet an, dass ein Baum gefällt wird, der wohl den Leuten ein heidnisches Heiligtum war. Martin beweist, dass er einen Gott predigt, der nicht auf heidnische Kultstätten angewiesen ist. Das ist wohl eine Wander-Geschichte“; denn genau dieselbe Geschichte erzählen wir uns vom heiligen Bonifatius.
Auch die Geschichte von den Gänsen ist eine Wander-Legende: Man habe Martin zum Bischof von Tours machen wollen, und er habe sich in einem Gänsestall versteckt; und die Gänse hätten ihn durch ihr Geschnatter verraten. Wir kennen dieselbe Geschichte vom Ludgerus. Dass die Nachfolger der Gänse noch heute, 1600 Jahre später, für den Verrat ihrer Vorfahren büßen müssen und deshalb gebraten auf den Tisch kommen, ist eigentlich nicht nett. Denn niemand, der selbst unschuldig ist, soll ja für die Schuld seiner Väter büßen müssen.
Martin hat auch als Bischof sehr bescheiden gelebt und ist im Jahre 397 gestorben; sein Grab befindet sich in der Martins-Basilika in Tours; dort habe ich schon öfter mit Gruppen die hl. Messe gefeiert, u.a. mehrmals auf der Rückfahrt von einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela
Martin ist der erste Heilige der westlichen Kirche, der in die Liturgie aufgenommen wurde, obwohl er kein Märtyrer war; der erste heilige Nichtmärtyrer der westlichen Christenheit. Dass wir von ihm so viel wissen, verdanken wir dem Schriftsteller Sulpicius Severus, der eine ausführliche Biographie des Heiligen verfasst hat.
Schade, dass er seinen Festtag mit den Karnevalisten teilen muss, die am 11. November ihre Saison eröffnen.