Wärme.
Ich habe das Bild im Mai dieses Jahres in Regensburg photographiert und habe lange darüber nachgedacht. Offenbar handelt es sich um ein Plakat, das jemand an einen Laternenmast angeheftet hat. Da es mitten im Sommer war, ist mit der Wärme wohl keine Außentemperatur gemeint. Offensichtlich wendet sich jemand, der in Not ist, auf diesem ungewöhnlichen Weg an die Bevölkerung. Oder ist es zunächst einfach ein Protest? Ich kenne die soziale Situation In Regensburg nicht, aber man kann von diesem Plakat her, das natürlich ganz subjektiv sein kann, auf soziale Kälte schließen. Wer konkret gemeint ist, wenn da steht „die Stadt“, muss auch offen bleiben.
Ist es also ein Mensch in Not, der sich ausgegrenzt und vernachlässigt fühlt? So klingt es, aber dann ist der zweite Satz seltsam. Der Verfasser schreibt, dass er selbst wenig übrig hat. Aber von was? Von Wärme? Von Hilfe? Jemand braucht Hilfe. Dabei würde er selbst gern anderen helfen, aber er hat keine Möglichkeit. Ist das vielleicht eine Entschuldigung dafür, dass der Unbekannte sich zugleich als Opfer und als Vollstrecker sozialer Kälte sieht?
Das graphische Bild im Hintergrund deutet wohl ziemlich eindeutig an, dass es hier um Tischgemeinschaft, um Mahl und um Kontakt geht. Deshalb wohl die Klage über fehlende Wärme. Ob sich der Mensch vielleicht mit der Person im Vordergrund des Bildes selbst gemeint hat? Diese Person ist ja einerseits Teil der Tischgruppe, andererseits doch irgendwie von den anderen isoliert. Ein seltsames, sehr geheimnisvolles Bild.
Auf dem Tisch steht nichts, und neben der Tischgruppe ist eine Wolke, aus der heraus es regnet. Was aber hat die Wolke mit der Kälte zu tun, und was soll der leere Tisch?
Der dritte Satz ist eine allgemeine Klage, die aber nichts von ihrem Ernst eingebüßt hat. Wer ist „der Mensch“? Ich deute es so, dass alle Menschen gemeint sind, also die Menschheit schlechthin. Der Verfasser scheint bei den Menschen insgesamt eine unangenehme Entwicklung festzustellen, deren Opfer er selbst ist. Und wiederum: Er kann sich selbst nicht aus diesem Geflecht befreien. Er gehört zu der unangenehmen Menschheit, und zugleich leidet er darunter. Wiederum: Er ist Opfer und selbst Täter.
Ein bisschen erinnert mich die Tischgemeinschaft an eine Abendmahls-darstellung. Freilich fehlt auf dem Tisch alles. Nicht mal Brot, das doch zu jedem Bild vom Abendmahl gehört, ist da. Und Gesichter haben die Menschen auch nicht. Das ist erschreckend. Gesichtslose Gestalten sitzen untätig und irgendwie sinnlos um einen Tisch herum, während es draußen regnet. Und plötzlich zieht etwas von der Kälte, die in dem Text angesprochen wird, bei mir hoch.
Ich habe mir das Bild lange angesehen.
Oder ist es vielleicht eine Art Kunstwerk?