Unsere Freunde, die Juden
„Man sollte doch…“, „Man könnte doch eigentlich…“ „Man müsste in absehbarer Zeit…“ Solche und ähnliche Sprechblasen haben wir kürzlich aus dem Mund von Politikern – und Kirchenleuten! – nach dem Attentat auf eine Synagoge in Halle gehört. Inzwischen hören wir kaum noch etwas. Dabei ist die Frage nach dem Verhältnis von Juden und Christen eine der zentralen Fragen des mitmenschlichen Zusammenseins gerade in unserem Land. Wie können wir schon Kindern beibringen, welch wunderbare Menschen unsere jüdischen Freunde sind; schon Kindergarten und Schule sollten da ihren Beitrag leisten.
Einen dieser wunderbaren jüdischen Menschen kannte ich seit unserer gemeinsamen Schulzeit im Laurentianum in Warendorf: Paul Spiegel; er war eine Klasse höher als ich, aber er hatte die herrliche Gabe einer lebendigen jugendlichen Rhetorik. Wenn er in der großen Pause auf dem Schulhof stand und Geschichten aus der jüdischen Tradition erzählte, standen immer einige Dutzend Mitschüler um ihn herum und hörten fasziniert zu. Das war in den Klassen fünf und sechs; später hat dieser tolle Mensch dazu beigetragen, dass in Deutschland die Sympathie für die Juden gewachsen ist.
Aber was sollen wir heute tun, auch in tragischer Erinnerung an die Reichspogromnacht vor mehr als 80 Jahren, als die Synagogen brannten und jüdische Geschäfte zerstört wurden? Zunächst sollten wir schon den kleinen Kindern einschärfen, dass Jesus ein Jude war und sich streng an die jüdischen Gesetze hielt; kein Wort über Jesus, ohne nicht sein Jude sein zu erwähnen!
Sieben Jahre war ich Pfarrer in der herrlichen Gemeine Herz-Jesu in Bocholt; die Herz-Jesu-Kirche ist vor wenigen Wochen für immer geschlossen worden: eine einzige Tragik für eine so lebendige und ideenreiche Gemeinde, in der vor allen die Jugendlichen eine große Rolle spielten.
Und in dieser jungen Gemeinde haben wir jedes Jahr etwas ganz und gar Außergewöhnliches gemacht. Am späten Abend des Gründonnerstag haben die Jugendlichen, weit über hundert, in der Kirche ein Pessach-Mahl gefeiert, nicht eine billige Kopie des jüdischen Pessach, sondern ein Mahl mit vielen jüdischen Elementen. Das Bild zeigt ja, wie der lange Tisch, der durch die ganze Kirche reichte, von den jungen Pessach Feiernden umgeben ist. Wir haben einige Grundstrukturen des Pessach-Mahles gefeiert, haben Gebete aus dem Judentum gebetet, z.B. dem christlichen Vaterunser sehr ähnlichem Gebet, und in einem Jahr durften wir eine Band aus dem Ruhrgebiet willkommen heißen, die unser jüdisch-christliches Mahl mit der jüdischen Klezmer-Musik begleitete. Nach dem Mal gingen wir gegen Mitternacht schweigend zum jüdischen Friedhof, der in der Herz-Jesu-Gemeinde liegt, und legten auf die Grabsteine kleine Kieselsteine – keine Blumen! -, wie es beim jüdischen Totengedenken Tradition ist. Und dann kehrten wir in der dunklen Nacht zur Kirche zurück, wo wir in jugendgemäßer Gottesdienst-Form das Martyrium des Juden Jesus am Karfreitag feiernd in Erinnerung riefen
Mehrmals haben wir im Kloster Lievelde in Holland ein Wochenende für Familie, Jugendliche, Messdiener usw. durchgeführt, bei dem wir uns sehr intensiv mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Juden und Christen beschäftigten: Texte, Spiele, Glaubensbegriffe usw. Und am Ende solcher Wochenenden haben wir dann die kleine Synagoge in Aalten besucht, einmal auch die herrliche Synagoge („Die schönste Synagoge von Westeuropa!!“) in Enschede.
Vielleicht wäre es ratsam, Erfahrungen solcher christlich-jüdischer Begegnung auszutauschen. Wird so was eigentlich auch heute noch in den katholischen Gemeinden gemacht? Was sagt man den Kindern über unsere jüdischen Geschwister? Wann und wie wird in der kirchlichen Verkündigung über das Judentum und den Juden Jesus gesprochen. Lassen Sie es mich wissen!