Lebensrettende Tür
Seit über einem Jahr zeigen wir Ihnen Kirchentüren, entweder eine künstlerisch besonders wertvolle oder eine sehr aussagestarke oder eine biblisch inspirierte oder (meistens) alle drei Aspekte zusammen. Für die heutige Tür, die wir Ihnen zeigen, trifft eigentlich alles nicht zu: Sie ist keine Kirchentür, sondern eine Synagogentür; sie hat keine besondere künstlerische Bedeutung; sie hat keine bildliche Darstellung und ist nicht von der Bibel inspiriert – aber ich meine, dass sie eigentlich kein Tor des Monats, auch kein Tor des Jahres oder Jahrzehnts ist, sondern ein Tor der Ewigkeit: das Eingangstor zur Synagoge in Halle an der Saale! Dort versammelt sich die jüdische Gemeinde von Halle an den jüdischen Festtagen, so auch am 9. Oktober 2019, dem Jom Kippur, dessen Termin von Jahr zu Jahr wechselt. Es ist der höchste jüdische Festtag; er liegt genau zehn Tage nach der Fastenzeit, die mit dem Neujahrsfest Rosch ha-Schana beginnt (kleiner Hinweis: Das Wort Rosch ha-Schana heißt übersetzt: „Haupt des Jahres“ oder auch „Beginn des Jahres“ ; deshalb wünschen sich auch Nichtjuden am Neujahrstag „einen guten Rosch“, also „einen guten Jahresanfang“. Dumme Menschen haben das missverstanden und wünschen sich „einen guten Rutsch“! So ein Quatsch! Machen Sie es am nächsten Neujahrstag einfach richtig! Und das Wunderbare an diesem Fest: An den zehn ersten Tagen des neuen Jahres stehen kritische Selbstbesinnung, Reue über unrechte Taten und die Bitte um Versöhnung.
Welch ein wunderbarer Neuanfang!
Am Jom Kippur bleibt die jüdische Gemeinde den ganzen Tag in der Synagoge. Das ist etwa so, wie wenn wir Christen am Aschermittwoch den ganzen Tag in der Kirche blieben; kaum vorstellbar!
Wegen dieser Tradition waren auch in Halle viele Juden zum Jom Kippur n ihrer Synagoge. Dass das nicht ungefährlich ist, sieht man daran, dass die einfache hölzerne Synagogentür so fest zugenagelt war, dass der verbrecherische Terrorist, der möglich viele Juden in der Synagoge mit dem Gewehr töten wollte, das Tor auch mit Gewalt nicht öffnen konnte. Das schlichte Tor dürfte über 50 jüdischen Menschen das Leben gerettet haben. Das Wunder von Halle am 9. Oktober! Das ist jetzt natürlich an alle ein dringender Appell, dafür zu sorgen, dass der Judenhass nicht zur Massentötung führt. Übrigens wird die sehr eindrucksvolle Synagoge in Münster immer von Polizisten bewacht: eine wichtige Vorsichtsmaßnahme.
Die Synagogentür von Halle, die „das Wunder von Halle“ bewirkt hat, soll bald als festliches Erinnerungsdenkmal mitten in der Stadt aufgestellt werden: ein Zeichen des Lebens mitten in einer oft so mörderischen Welt!
Ulrich Zurkuhlen